Montag, 16. Dezember 2013

Für und Wider Windkraft in den Bergen

Im Lugnez sollen dereinst 40 Windanlagen Strom für 28'000 Haushalte liefern. Für diesen Ökostrom gibt es Subventionen – aber auch einen umstrittenen Zusatzbatzen.

Mehr Subventionen für Analgen in der Höhe: Höchst gelegenes Windrad von Europa auf 2'465 Meter beim Gries-Stausee im Kanton Wallis.

Es ist ein Projekt der Superlative: In der Surselva, auf dem Gemeindegebiet von Lugnez und Obersaxen, soll der grösste Windpark der Schweiz entstehen. Mit Standorten zwischen 2000 und 2500 Metern über Meer wird er zu den höchstgelegenen in Europa gehören. Auch der erhoffte Stromertrag sprengt alle Rekorde: Maximal 40 Windanlagen sollen bis zu 170 Gigawattstunden Strom pro Jahr liefern – mehr als eineinhalbmal so viel, wie aktuell die 34 grösseren Windturbinen im Land zusammen produzieren. Diese Menge würde für die Versorgung von 28'000 Haushalten reichen. Hinter dem Projekt stehen das auf Windkraft spezialisierte Unternehmen Altaventa und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ), das heute schon einen Teil Graubündens mit Strom versorgt.

Der Standort unweit des Skigebiets Obersaxen-Mundaun-Val Lumnezia weist gemäss Schweizer Windkarte ein im Grundsatz gutes Windpotenzial aus. Ob der Wind tatsächlich genug stark weht, ist gleichwohl fraglich. Seit 2010 laufen Messungen. Die Resultate sind noch nicht befriedigend. EWZ-Sprecher Harry Graf räumt ein: «Punkto Wirtschaftlichkeit sind wir noch nicht auf der sicheren Seite.» Um eine Anlage rentabel betreiben zu können, braucht es gemäss Experten nicht nur Windgeschwindigkeiten von 6 Metern pro Sekunde. Der Wind muss auch regelmässig wehen. Nun läuft eine weitere Messreihe. Resultate dürften im Frühjahr vorliegen.

Schub erhält das Projekt nun möglicherweise dank des Bundes. Ab 1. Januar 2014 kommen Windanlagen in den Bergen in den Genuss eines Höhenbonus. Heute wird jede Kilowattstunde Windstrom mit 21,5 Rappen subventioniert, einerlei, wo die Anlage steht. In Zukunft erhalten neue Anlagen auf 1700 Metern und höher maximal 2,5 Rappen mehr. Festgesetzt hat diesen Bonus der Bundesrat, als er unlängst neue Regeln für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für erneuerbare Energien festgeschrieben hat. Vom ersten bis dritten Quartal dieses Jahres betrug die ausbezahlte KEV-Gesamtvergütung knapp 220 Millionen Franken, an Windkraftanlagen gingen davon 6,5 Millionen. Der Löwenanteil kam Solarprojekten zugute. Berappen müssen die Subventionen die Stromkonsumenten. 

Mit dem Höhenbonus will der Bundesrat den speziellen Bedingungen im alpinen Gelände Rechnung tragen. Weil die Luft in der Höhe dünner und der Wind turbulenter ist, kann eine Anlage nicht so viel Strom produzieren wie im Flachland. Fachleute sprechen von Ertragseinbussen bis zu 25 Prozent. Zudem kostet es in diesen Höhen wegen Vereisung und der schlechten Zugänglichkeit mehr Geld, eine Anlage zu warten. Der Höhenbonus soll gemäss Bundesrat einen Anreiz bieten, Anlagen an alpinen Standorten mit «besten Windverhältnissen» zu erstellen.

EWZ-Sprecher Harry Graf spricht von einem «willkommenen Beitrag», der die Realisierungschancen des Projekts erhöhe. Er betont jedoch, der Höhenbonus allein genüge dafür nicht. Er werde jedoch zum «zusätzlichen Entscheidungselement», sofern die Wirtschaftlichkeit des Projekts nicht ganz gegeben sei. Graf dementiert Gerüchte, wonach das EWZ beim Bundesrat für den Höhenbonus lobbyiert habe.

Scharfe Kritik am Höhenbonus äussert die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL). Es handle sich um einen schädlichen Subventionsanreiz, der dazu verleite, die letzten Naturräume zu verschandeln. Die SL erinnert den Bundesrat daran, dass die Schweiz die Alpenkonvention unterzeichnet habe und damit die Alpen in ihrer Ursprünglichkeit schützen müsse. Geschäftsleiter Raimund Rodewald verweist zudem auf Österreich und Südtirol, die ganz darauf verzichten würden, Windpärke auf ihren Bergen zu erstellen.

Widerstand hat sich auch vor Ort formiert. Die Gegner des Windparks haben sich in der Interessengemeinschaft Sezner - Um Su - Grenerberg zusammengeschlossen. «Die Schweiz ist kein Windland», sagt IG-Mitglied Martin Jäger und verweist auf besser geeignete Lokalitäten am und im Meer. Nachhaltig am Surselva-Projekt sei einzig die Zerstörung der Landschaft. Die Eingriffe in die hochsensible alpine Fauna und Flora stünden in keinem Verhältnis zum Energiegewinn. Dies umso weniger, als ein kantonales Landschaftsschutzgebiet vom Projekt tangiert werde. «Es entsteht ein Industriegebiet mit 40 Türmen von je 140 Meter Höhe oder noch höher», sagt Jäger. Diese «Verschandelung» torpediert nach Ansicht der Gegner auch die jahrzehntelangen Bemühungen der Gemeinden Lumnezia und Obersaxen, den sanften Tourismus zu fördern.

Doch das Projekt hat auch Befürworter. Sie erhoffen sich Aufwind für eine Region, die unter Abwanderung leidet – etwa dank neuen Arbeitsplätzen und Pachtzinsen in der Höhe von Hunderttausenden von Franken. Die ökonomischen Chancen streichen auch Altaventa und das EWZ hervor. Um die Akzeptanz für das Projekt zu erhöhen, haben sie früh einen runden Tisch mit den involvierten Gemeinden, Politikern, Umweltverbänden und Alpgenossenschaften ins Leben gerufen. Die Bündner Sektionen von Pro Natura und WWF können sich einen Windpark an dieser Lage vorstellen – allerdings nur unter der Bedingung, dass er möglichst nah beim Skigebiet gebaut wird. So beeinträchtige er kaum das kantonale Landschaftsschutzgebiet und tangiere das angrenzende nationale Schutzgebiet nicht.

Trotz der bisherigen Messresultate bezeichnen das EWZ und Altaventa den Standort als vielversprechend. Die Distanz zu bewohnten Gebieten sei gross, somit seien die Anlagen auch bei hohen Windgeschwindigkeiten nicht hörbar. Auch sei das Gebiet gut erschliessbar. Es führe bereits eine lastwagentaugliche Strasse bis auf 2100 Meter, weshalb Ausbauten nur punktuell erfolgen müssten. Dem widersprechen die Gegner: Für Zufahrtsstrassen und Bauplätze würden viele Hektaren Kultur- und Weideland geopfert, sagt Martin Jäger und warnt vor «öden Industriebrachen, die jahrzehntelang weithin sichtbar bleiben». 

Vorbehalte hat auch der Schweizerische Alpen-Club (SAC), der Windanlagen oberhalb von 1400 Metern in unverbauten oder unerschlossenen Gebieten ablehnt. Die SAC-Sektion Piz Terri hat Widerstand angekündigt für den Fall, dass eine Anlage auf dem Um Su (2357 m) gebaut wird. Auch verlangt sie weiterhin freie Sicht vom beliebten Skitourengipfel – auf ihren Hausberg Piz Terri (3149 m).

Die Reaktionen der Zürcher Politiker www.windpark.tagesanzeiger.ch

Quelle: Tages-Anzeiger 16.12.13

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