Sonntag, 1. Dezember 2013

Bitcoin oder die Sache mit dem Geld

Weil Bitcoin immer populärer wird, überlegen sich immer mehr Regierungen weltweit, wie sie mit der künstlichen Währung umgehen sollen. Auch die Schweiz diskutiert darüber.

«Es ist wie bei der Luftgitarre», sagt Jon Matonis. «Sie existiert nur, weil alle Beteiligten daran glauben.» Matonis ist Geschäftsführer der Bitcoin-Stiftung und damit Cheflobbyist einer Währung, die – wie die Luftgitarre – physisch nicht existiert. Und dennoch sind im Moment jeden Tag Zehntausende von Menschen bereit, über 1000 real existierender Dollars gegen eine Einheit der Luftgitarren-Währung zu tauschen.

Für Aussenstehende ist das Phänomen schwer verständlich. Es gibt Börsen, an denen reales Geld in Bitcoins getauscht werden kann und mindestens einen Bancomaten, der Bargeld gegen elektronisches Bitcoin-Guthaben wechselt. Es gibt Online-Shops, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren und in gewissen Gegenden – Berlin Kreuzberg etwa – auch mehrere Geschäfte, in denen man mit Bitcoins bezahlen kann.

Kaum Gebühren, aber volatil
Das virtuelle Geld muss einfach via Smartphone-App von einem elektronischen Portemonnaie ins andere verschoben werden. Theoretisch wäre das sogar attraktiv: Verglichen mit Kreditkartenzahlungen fallen kaum Gebühren an. Allerdings schwankt der Wert einer Bitcoin im Moment so stark – an gewissen Tagen um mehrere 100 Dollar innert weniger Stunden –, dass das Bezahlen eines Kaffees zum spekulativen Akt verkommt.
Bitcoin wurde 2008 von einem anonymen Programmierer entwickelt, basierend auf einer politischen Ideologie: Die Währung sollte ohne Einmischung eines Einzelnen – oder eines Staates - existieren. Sie sollte günstig und ohne Mittelsmann austauschbar sein, auch wenn sich die Beteiligten weder kennen noch vertrauen. Und sie sollte die finanzielle Privatsphäre garantieren: Wer wie viel davon besitzt und wofür er es ausgibt, sollte niemanden etwas angehen. Es sollte eine Währung sein, die ähnlich funktioniert wie Gold.

Der Zufall hat die Hand im Spiel
Statt von einer Zentralbank wird das System darum von einem dezentralen Netz aus den Computern von Freiwilligen betrieben – einer modernen Spezies der Goldgräber. Diese beteiligen sich an einer Art Lotterie: Im Wettlauf mit anderen sollen ihre spezialisierten Computer möglichst schnell ein mathematisches Rätsel lösen. Je schneller der Computer, desto grösser die Chance, die Lösung als Erster zu finden. Trotzdem entscheidet am Ende der Zufall. Der Gewinner erhält den fiktiven Rohstoff – neue Bitcoins.

Mittlerweile grassiert ein wahrer Bitcoin-Rausch: Die Computer, deren einziger Zweck es ist, Bitcoins zu schürfen und das System zu unterhalten, besitzen bereits über hundertmal so viel Rechenleistung wie die 500 schnellsten Supercomputer der Welt. Sie verbrauchen dabei rund 110'000 Megawattstunden Strom pro Tag – so viel wie 24'500 Schweizer Haushalte in einem Jahr. Als Nebenprodukt dieses Wettlaufs bewirtschaften die Computer ein öffentliches Register, in dem jede Transaktion gespeichert ist, die jemals mit Bitcoins gemacht wurde. Anhand des Registers überprüfen immer mehrere Rechner gleichzeitig eine Überweisung auf ihre Legitimität. «Das macht das System so sicher», sagt Bitcoin-Experte Matonis.

Die steigende Popularität von Bitcoin hat Regierungen auf der ganzen Welt aufgeschreckt. Nicht nur die USA und China beschäftigen sich damit, ob und wie sie mit Bitcoin umgehen wollen. Auch in der Schweiz wird der Nationalrat demnächst beraten, ob er den Bundesrat mit einer Risikoanalyse beauftragen soll. 

Gleichzeitig warnen Ökonomen vor einer Blase gigantischen Ausmasses: Zwar basiert das Bitcoin-Programm auf einer Geldtheorie und auf ökonomischen Kriterien. Zum Beispiel ist die Geldmenge nach oben beschränkt: Bis ins Jahr 2140 werden maximal 21 Millionen Bitcoins ausgegeben. Dadurch steigt der Wert einer Einheit automatisch, je mehr Menschen sich dafür interessieren. Zwar macht das Bitcoin attraktiv in Ländern, in denen Inflation herrscht und der Kapitalverkehr beschränkt ist – wie etwa in China. Für viele Ökonomen führt aber gerade das unvermeidlich zum Kollaps. Denn wenn der Wert von Bitcoins stetig steigt, wer will sie dann noch ausgeben? Und wenn niemand mehr etwas damit kauft, funktioniert die Bitcoin-Wirtschaft nicht mehr.

Plattform für Überweisungen
Trotz aller Kritik und Absurditäten gibt es eine Diskussion darüber, was für einen Platz virtuelle Währungen in der realen Welt einnehmen könnten. Das Bitcoin-System wurde bereits Dutzende Male kopiert, das Portal Coinmarketcap.com listet 36 ähnliche virtuelle Währungen auf. Keine davon ist im Moment auch nur annähernd so gross. Alle versuchen, die Schwächen von Bitcoin auszumerzen – und sei es nur der Stromverbrauch.

Interessant ist ein Dienst namens Ripple, der zwar auch eine gleichnamige Währung kennt, sich aber auf seine Funktion als Überweisungsplattform fokussiert. Genau dort sehen viele Experten den wahren Wert einer virtuellen Währung: In der Möglichkeit, günstig und barrierefrei Geld in die ganze Welt zu verschicken. Nicht zuletzt, weil es bereits einen Markt gibt: 2013 werden Emigranten laut Weltbank 550 Milliarden Dollar an ihre Familien schicken.

Quelle: Tages-Anzeiger 2.12.13

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