Sonntag, 17. November 2013

Bono kapituliert vor Handelsgericht

Die Anwältin Caroline Bono hat ihre Klage gegen die Zürich-Versicherung zurückgezogen. Damit endet eine Auseinandersetzung, die vor 11 Jahren mit einem Auffahrunfall am Bürkliplatz begonnen hatte.

Caroline Bonos Brief ans Zürcher Handelsgericht ist drei Seiten lang und endet mit folgendem Satz: «Unter Berücksichtigung aller Umstände und des Verfahrensablaufs an Ihrem Gericht ist offensichtlich, dass ich eine materielle, objektive Beurteilung meines Falles nicht erwarten darf.» Sie habe «momentan weder die Kraft noch das Geld, um die gerichtliche Auseinandersetzung weiterzuführen», erklärt Bono bei einem Treffen im Zürcher Seefeld. Mit dem Rückzug der Klage gegen die Zürich-Versicherung wolle sie aber auch verhindern, dass ein Urteil gesprochen und künftig dazu benützt werde, «berechtigte Forderungen von anderen Unfallopfern pauschal auf der Basis von fragwürdigen Berechnungen der Auffahrgeschwindigkeit abzuschmettern».

Vor elf Jahren, am 19. November 2002, war die Juristin Opfer eines Auffahrunfalls am Bürkliplatz geworden. Für die Zürich, involviert als Haftpflichtversicherung der fehlbaren Lenkerin und Unfallversicherung von Bono, war von Anfang an klar: Die Wucht des Aufpralls habe «deutlich unter dem Schwellenwert gelegen, ab dem eine Verletzung der Halswirbelsäule bei Auffahrunfällen in der Regel als möglich betrachtet wird.» Zu diesem Schluss war die Zürich auf der Basis eines biomechanischen Gutachtens gekommen, das ihre hauseigenen Spezialisten mithilfe der Unfallfotos erstellt hatten. Eine ärztliche Begutachtung Bonos gab es nicht, obwohl sie nur Tage nach dem Unfall notfallmässig für mehrere Wochen hospitalisiert werden musste. 

Am Unfalltag war in der Notfallaufnahme des Spitals lediglich ein Schleudertrauma festgestellt geworden – eine Fehldiagnose, wie sich erst fünf Jahre später zeigen sollte. Als die Beschwerden nicht abklangen, sondern unerträglich blieben, stellten Ärzte fest, dass Bono unter den Folgen von Nackenverletzungen litt, die man am Unfalltag auf den Röntgenbildern übersehen hatte. Zudem wurden – ebenfalls erst im Nachhinein – beträchtliche Hirnverletzungen radiologisch diagnostiziert.

Nach eingehender Untersuchung vertreten mittlerweile rund ein Dutzend Fachärzte die Meinung, dass sich Bono diese Verletzungen beim Unfall im Jahr 2002 zugezogen haben müsse. Das Handelsgericht liess diese neuen ärztlichen Befunde aber nie als Beweismittel, sogenannte Noven, zu. Die Richter beharrten vielmehr auf ihrer Überzeugung, dass familiäre und berufliche Überlastung der getrennt lebenden vierfachen Mutter und Anwältin für die Beschwerden verantwortlich seien und nicht «das banale Auffahrereignis». Das Bundesgericht schloss sich dieser Meinung an.

Erst als der TA aufdeckte, dass einer der involvierten Handelsrichter die Zürich-Versicherung praktisch zeitgleich als Rechtsanwalt vor demselben Gericht vertreten hatte, kam wieder Bewegung in die Sache. Das Bundesgericht hob das Urteil auf und gab den Fall «zur weiteren Behandlung» zurück. Freilich ohne zu definieren, was unter «weiterer Behandlung» zu verstehen sei.

Bono schöpfte Hoffnung, die ärztlichen Gutachten im Rahmen einer neuen Beweisaufnahme endlich vorlegen zu können. Mut machte ihr insbesondere die Einschätzung des emeritierten Zürcher Rechtsprofessors Karl Spühler, eines Experten auf dem Gebiet der Zivilprozessordnung. Für ihn war klar, dass das Handelsgericht im Fall Bono nach neuem Prozessrecht noch einmal ganz von vorn beginnen musste.
Doch das Handelsgericht entschied sich für das alte Prozessrecht und gegen ein neues Beweisverfahren. Mit der Begründung, der betreffende Richter habe das Mandat der Zürich erst in der letzten Phase der Beweisaufnahme übernommen. Bis dahin sei er (noch) nicht befangen gewesen; frühere Verfahrensschritte müssten nicht wiederholt werden. Die Tatsache, dass der Richter über Jahre bei der Winterthur-Versicherung und der Zürich-nahen XL Insurance in leitender Stellung tätig gewesen war, ehe er sich selbstständig gemacht hatte, um als Anwalt Mandate grosser Versicherungsgesellschaften zu übernehmen und zugleich Handelsrichter zu werden, genügte dem Handelsgericht nicht, um eine Befangenheit oder auch nur den Anschein einer Befangenheit nachzuweisen.

In dieser ausweglosen Lage schrieb Bono einen offenen Brief an Bundesrat Alain Berset und Josef Ackermann, den damaligen Präsidenten der Zürich-Versicherung. Auf zehn Seiten schilderte sie ihren Fall detailliert und bat um Vermittlung: «Vielleicht können Sie mir eine Türe aufstossen?» (TA vom 15. Juli).

Das Echo war ernüchternd. Für die Zürich antwortete der Sekretär des Verwaltungsrats: «Wir bitten um Verständnis, dass weder die Zürich noch deren Verwaltungsratspräsident sich ausserhalb eines laufenden Gerichtsverfahrens zu Ihren Anliegen äussern können. Es wird nun Sache des Gerichtes sein, über den Ausgang der Angelegenheit zu entscheiden.» Gesundheitsminister Berset schrieb: «Mir ist bewusst, dass das tägliche Leben uns alle in Schwierigkeiten bringen kann und dass die oft dadurch entstehenden erhöhten Anforderungen meist nur durch besondere Anstrengung der Betroffenen bewältigt werden können. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut, diese Lebensumstände zu meistern.» 

So entschloss sich Bono, die Klage zurückzuziehen, denn: «Ohne neue Beweisaufnahme haben wir keine Chance.» Dem Handelsgericht wirft sie vor, es sei «augenscheinlich», dass es mit allen Mitteln die Absicht verfolgt habe, den Prozess «abzuwürgen». Das Vorgehen sei mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht zu vereinbaren.
Seit 2003 erhält Bono keine Versicherungsleistungen mehr. Auch nicht von der IV, die sie vor drei Jahren nach der Abklärung bei einer Medas in ihrem Beruf als Anwältin für 80 Prozent arbeitsfähig erklärt hat. Bono hatte den Wiedereinstieg jahrelang versucht, aber es ging nicht; sie konnte und kann sich komplexe Zusammenhänge schlicht nicht mehr merken. Bei Bekannten hoch verschuldet, ist sie inzwischen bei der Sozialhilfe gelandet. Nach einer Weiterbildung will sie nun versuchen, als freiberuflicher Coach zu arbeiten. Weder die Zürich noch das Handelsgericht wollen zum Fall Bono einen abschliessenden Kommentar abgeben.

Siehe auch Kommentar hier >>>

Quelle: Tagesanzeiger.ch/Newsnet 18.11.13

^^^ Nach oben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen