Montag, 21. Oktober 2013

Gerangel um 1:12-Initiative

Ein Finanzprofessor ist klar für die Initiative

Finanzprofessor Marc Chesney hielte ein 1:20-Verhältnis angebrachter, unterstützt aber trotzdem die Juso-Initiative. Wirtschaftsvertreter zeigen sich derweil besorgt ob der neusten Umfragewerte.

Finanzprofessor Marc Chesney stellt sich auf die Seite der 1:12-Initiative. «1:20 wäre für die Schweiz wahrscheinlich angebrachter als 1:12», sagte er im Interview mit dem «SonntagsBlick». Aber jetzt gehe es um die Wahl zwischen 1:12 und Status quo. «Ich werde klar für die Initiative stimmen.» Die Lohnentwicklung in der Finanzbranche sei in den vergangenen 30 Jahren völlig ausser Kontrolle geraten. «Die heutigen Lohndifferenzen sind weder moralisch noch ökonomisch vertretbar», sagte Chesney, der am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich unterrichtet.

Bezweifelt Abzug
Dass Grossbanken bei einem Ja zur Initiative ins Ausland abwandern, bezweifelt er. «Die Institute sollten bei einem Wegzug ihre faktische Staatsgarantie verlieren – das heisst, dass sie in einem finanziellen Notfall, wie er etwa 2008 bei der UBS aufgetreten ist, nicht mehr mit Schweizer Steuergeldern gerettet werden könnten.» «Mal sehen», fragt Chesney, «welcher ausländische Steuerzahler in diesem Fall einspringen würde: der Amerikaner, der Engländer, oder der Singapurer? Bonne Chance!»

Wirtschaftsvertreter zeigen sich besorgt
Einen Monat vor der Abstimmung steht die 1:12-Initiative verhältnismässig gut da: Gemäss einer SRG-Umfrage wollen 44 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative annehmen, ebenfalls 44 Prozent wollen sie ablehnen, wie am Freitag bekannt wurde. Andreas Koopmann, Verwaltungsratspräsident der Georg Fischer AG und Vizepräsident von Nestlé, zeigt sich gegenüber der «Schweiz am Sonntag» besorgt. «Kein einziges ausländisches Unternehmen würde bei einer Annahme der Initiative mehr in die Schweiz ziehen wollen.» Mehrere Unternehmen planten zudem Szenarien zur Verlagerung zumindest eines Teils der Tätigkeiten ins Ausland. So würden in den Verwaltungsräten von Georg Fischer AG, Nestlé und Credit Suisse derartige Szenarien durchgespielt. «Manche Szenarien sehen vor, einen Teil der Tätigkeiten zu verlagern, der Extremfall wären Sitzverlegungen. Jedes Szenario wäre mit schlechten Nachrichten für den Wirtschaftsstandort Schweiz verbunden», lässt sich Koopmann zitieren. 

Ruedi Noser, FDP-Nationalrat und Präsident des Wirtschaftsnetzwerks Succèsuisse, fordert eine deutliche Ablehnung der Initiative: «Die Initiative muss mit einem Nein-Anteil von über 70 Prozent bachab geschickt werden. Alles andere wäre eine Kriegserklärung an die Wirtschaft.» (mw/sda)

Interview mit dem FDP-Nationalrat Ruedi Noser

Herr Noser, laut der SRG-Trendumfrage von Freitag sind Gegner und Befürworter der 1:12-Initiative mit jeweils 44 Prozent gleichauf. Überrascht Sie dieses Ergebnis?
Das ist schwierig zu sagen. Das Ergebnis kann jedoch gut dazu dienen, die Gegner der Initiative zu mobilisieren. Und ich bin mir sicher, dass dies auch gelingt.

Inwiefern?
Alle potenziellen Gegner wissen nach diesem Ergebnis, dass sie an die Urne gehen müssen.

Bis zur Abstimmung am 24. November bleibt etwa ein Monat. Sie hoffen auf einen Nein-Anteil von 70 Prozent. Was muss passieren, damit der unentschlossene Stimmbürger sich an der Urne nicht für ein Ja entscheidet?
Es ist absolut realistisch, dass weniger als 30 Prozent der Initiative zustimmen. Das Potenzial der Befürworter ist bereits ausgeschöpft – es ist also essenziell, dass wir die Gegner mobilisieren können.

Wie wollen Sie das konkret tun?
Mit mehr persönlichem Engagement. Ich selbst werde bis zur Abstimmung noch mehr als 20 Auftritte absolvieren. Und ich hoffe, dass der eine oder andere auch noch motiviert ist, gegen die Initiative zu kämpfen. Man muss sich bewusst sein: Keine grosse Firma kann mit einem Ja leben.

Bisher haben sich grosse Unternehmen nur vereinzelt zur 1:12-Initiative geäussert, wie etwa Kühne&Nagel-Aktionär Klaus-Michael Kühne. Auch grosse internationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz haben bisher geschwiegen. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung aus der Wirtschaft?
Die Bevölkerung ist darauf angewiesen, vor einer Abstimmung klar über deren Folgen aufgeklärt zu werden. Es ist also wichtig, dass sich die Wirtschaft zu Wort meldet – hier wünsche ich mir mehr persönliches Engagement. Es liegt in der Verantwortung der direkten Demokratie, die Bürger zu informieren.

Ist bisher genügend aufgeklärt worden?
Ganz klar nein. Denn: Grosse Firmen werden bei einem Ja zur 1:12-Initiative Konsequenzen ziehen müssen. Sie haben dabei zwei Möglichkeiten – entweder die Bestimmungen zu umgehen, oder wegzuziehen. Also würde ein Ja an der Urne dazu führen, dass Unternehmen gewisse Managerposten nicht mehr in der Schweiz besetzen würden. Es ist nicht im Interesse unseres Landes, wenn Entscheidungen nicht mehr in der Schweiz gefällt werden.

Werden bei einem Ja an der Urne weitere Firmen die Schweiz verlassen, wie das Klaus-Michael Kühne angekündigt hat?
Das kann ich nicht sagen. Aber eines ist klar: Schon die Umsetzung der Minder-Initiative wird dazu führen, dass Firmen die Schweiz verlassen werden.

Im Vorfeld der Abzocker-Initiative bauten die Gegner eine Drohkulisse vom «Massenexodus Schweizer Firmen» auf. Nach dem überwältigenden Ja von 68 Prozent stürzte diese Kulisse ein. Ist das der Grund, warum die Nein-Kampagne zu 1:12 bisher nicht den gewünschten Erfolg hat?
Im Vergleich mit der Abzocker-Initiative ist die aktuelle Kampagne zu 1:12 viel erfolgreicher. Die Initiative hat jetzt schon keine Chance mehr auf eine Mehrheit. Entscheidend wäre aber ein grosses Nein zur Initiative.

Manche halten ein Nein von 70 Prozent für nicht realistisch. Was entgegnen Sie diesen Skeptikern?
Bisher hat sich die Schweiz in Abstimmungen immer wirtschaftsfreundlich gezeigt – Abstimmungen mit wirtschaftlichem Inhalt wurden immer sehr deutlich gewonnen, siehe etwa die abgelehnte Initiative zu sechs statt vier Wochen Ferien im Jahr. Es ist durchaus möglich, auch bei der 1:12-Initiative ein Verhältnis von 30:70 hinzubekommen. Man sollte sich Ziele setzen und auch dafür kämpfen.

Im «SonntagsBlick» zweifelt der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney daran, dass Grossbanken wie CS oder UBS bei einem Ja an der Urne aus der Schweiz wegziehen würden. Sie würden bei einem Wegzug ihre Staatsgarantie verlieren und bei einem Notfall nicht gerettet werden können. Was halten Sie von diesem Argument?
Die Aussage ist sachlich falsch – ich verstehe nicht, wie der Professor so etwas sagen kann. Mit den KMU-Krediten und dem Zahlungsverkehr sind UBS und CS in der Schweiz «too big to fail». Also müssen sie auch in der Schweiz gerettet werden, selbst wenn sie ihren Hauptsitz im Ausland haben. Diese Bemerkung ist eines Finanzprofessors unwürdig. 


Quelle: Tages-Anzeiger 21.10.13

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